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Tariqs Blog Teil 01: Etikette, bitte

  • Tariq 

Tariqs Blog Teil 01: Etikette, bitte

Sehr geehrte Pferdemenschen,

Sie, genau Sie meine ich. Sie sind Pferdemensch und bieten einem Pferd ein zu Hause? Dann sollten wir uns mal unterhalten. Entschuldigen Sie bitte, dass ich so direkt frage, aber wer hat in Ihrer Beziehung das sagen? Wer erzieht wen? Denken Sie ruhig mal ein paar Sekunden über meine Fragen nach. 

Silke hat ja auch immer gedacht, sie müsse mich erziehen. Ich sei noch nicht richtig ausgebildet. Auf der Über Uns Seite (siehe oben) erzählt sie, wie wir uns kennen gelernt haben und wie schwer das alles für sie war. Dabei wusste ich schon nach der ersten Sekunde, dass mit ihr eine große Aufgabe auf mich zu kommt. Puh, um ehrlich zu sein, habe ich anfangs versucht, mich vor der Aufgabe zu drücken. Nicht mal die einfachsten Begrüßungsrituale kannte sie. Um es geradeheraus zu sagen, für ein Pferd war sie ganz schön respektlos. Deshalb erzähle ab heute in meinem Blog, wie ich ihr ganz langsam beigebracht habe, überhaupt erst mal zu zu hören und hinzusehen und wie ein anständiges Pferd zu denken und zu fühlen. In ganz winzigen Schritten, denn Menschen sind nicht so aufnahmefähig. Aber von vorn. 

Eigentlich ist es schon ein großes Glück, dass ich bei Silke gelandet bin. Die vorangegangenen Stationen waren nicht so schön. Als man mich an einem sonnigen Augusttag endlich aus diesem schrecklichen rollenden Käfig entließ und in eine Box mit Paddock in meinem neuen „Forever-Home“ führten, hatte ich die Nase gründlich voll von Menschen. Die ersten 5 1/2 Jahre hatte ich in Spanien verbracht, wo ich geboren wurde. Nun hatte es mich in den Norden Deutschlands verschlagen. Als ich am besagten Tag dort ankam und aus dem Hänger sprang, hätte mir am liebsten erst mal die verspannten Knochen frei gebuckelt und den Bauch mit saftigem Gras vollgeschlagen. Doch stattdessen stand ich auf diesem kleinen Sandviereck, das nach fremden Pferden, Menschen, irgendwelchen anderen Tieren roch. Neben diesem menschenumstandenen Paddock war eine Box in der ein mit Heu gefülltes Netz wartete. Ich traute mich kaum den Kopf durch den Türeingang zu recken, so unheimlich war die Box für mich. Sie roch seltsam und der Boden war wie ein tiefes, schwarzes Loch. Heute weiß ich, dass das Gummimatten sind und dass man da drauf treten kann. Aber damals dachte ich, das sei ein Höllenschlund und er würde mich verschlingen. Außerdem war ich froh, dass ich endlich wieder Wind um die Nase hatte und einigermaßen weit meinen Blick schweifen lassen konnte, um zu schauen, ob nicht doch irgendwelche Raubtiere in dieser fremden Umgebung auf mich warteten. Da wollte ich auf gar keinen Fall in die Box. Heu hin oder her. 

Rund ums Paddock standen ganz viele Menschen und starrten mich an. Ich wusste gar nicht, wo ich hinsollte und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ich rannte im Kreis, um zu zeigen, wie unangenehm mir die Situation war. Alle starrten, aber keiner sah, wie es mir ging. Also versuchte ich vorsichtig auf dem viel zu kleinen Paddock mir die Muskeln frei zu buckeln. Hach, das tat gut. Und noch höher und noch eine Drehung und einmal kräftig auskeilen… Die Menschen starrten noch mehr, einige hatten den Mund offen und einer sagte: „Na, Silke. Da hast du dir aber echt einen Satansbraten angelacht.“ Und ich dachte nur „Wat mutt dat mutt“ – nee Moment, Hamburgisch habe ich erst später gelernt. Da habe ich ja nur spanisch gesprochen: „lo que debe ser tiene que ser.“ Wie gut das tat, nach der langen Fahrt in diesem kleinen Käfig, mal richtig die Knochen zu strecken – nun ja, soweit das ging auf diesem kleinen Paddock. Herrlich. Aber bei weitem nicht ausreichend. 

Silke versuchte mich dann mit so einem seltsamen orangefarbenen Ding zu locken. Erst viel später lernte ich es als Möhre kennen und lieben. Doch noch kannte ich es nicht und Silke richtete es so bedrohlich auf mich. Außerdem kam sie damit einfach auf mich zu ohne mich um Erlaubnis zu fragen. So geht das ja nun nicht. Etikette muss sein. Um die zu wahren, habe ich den Höflichkeitsabstand zwischen uns eingehalten. Wenn sie einen Schritt auf mich zu kam, bin ich zwei Schritte rückwärts. Immer im Kreis. Ich dachte, irgendwann muss sie doch verstehen, dass man sich erst mal vorstellt und nicht ohne zu klingeln einfach die Tür aufreißt und in mein Haus eindringt. Doch weit gefehlt. Hartnäckig verfolgte sie mich und ich wich einfach zurück. Nach gut zehn Minuten ließ sie die Hand mit der Möhre sinken und blieb stehen. Ich dachte, Heureka, nun hat sie es kapiert und wandte den Kopf zu ihr, um ihr zu sagen, dass ich bereit sei, sie kennen zu lernen – solange sie meinen Wohlfühlabstand respektiert. Doch sie hob wieder die Hand mit der Möhre und kam auf mich zu. Ich ging rückwärts. Puh! Gar nicht so leicht zu erziehen, diese Menschen…